Wenn der Alltag im wahrsten Sinne des Wortes schwerfällt – und wie man die Menschen dabei unterstützen kann

Normalerweise läuft Florian Lürken die Treppen hinunter, ohne sich am Geländer festzuhalten. Wenn er es eilig hat, nimmt er sogar mehrere Stufen auf einmal. Und wenn das Handy klingelt, geht er einfach während des Laufens ran. Heute bewegt sich der junge Mann wie in Zeitlupe. Er setzt den rechten Fuß vorsichtig auf die nächst tiefere Stufe. Erst, nachdem er Halt gefunden hat, tastet sich seine Hand langsam am Geländer entlang nach unten, dann konzentriert er sich auf sein linkes Bein. Gestützt wird er dabei von einem weiteren jungen Mann.

Nein, Florian Lürken ist nicht krank. Er trägt einen Alterssimulationsanzug, der jede normalerweise routinierte Bewegung zu einer Herausforderung werden lässt. In der Weste sowie in den Arm- und Beinbandagen sind Gewichte eingenäht, die Beweglichkeit von Halswirbeln und Gelenken wie Knien und Ellenbogen werden durch weitere Bandagen eingeschränkt, Handschuhe erschweren das Greifen. Dazu ein Gehördämpfer und eine Brille, die das Gesichtsfeld einengt und die Umgebung dunkel und unscharf werden lässt. 

Auszubildender: "Es ist beeindruckend, das Älterwerden selbst zu spüren"

„Wenn man das erlebt, weiß man wirklich was es bedeutet, alt zu werden. Es ist unglaublich beeindruckend, das nicht von außen zu sehen, sondern selbst zu spüren“, fasst Florian Lürken das Erlebte zusammen. Er absolviert eine Ausbildung zum Pflegefachmann am Helios St. Elisabeth Krankenhaus in Bad Kissingen. Gemeinsam mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern taucht er am Landratsamt Bad Kissingen zwei Tage lang intensiv in die Welt des „Ambient Assisted Living“ ein. „Wir zeigen den angehenden Pflegefachfrauen und -männern unter anderem Methoden und technische Assistenzsysteme, die Ältere und Menschen mit Behinderung so im Alltag unterstützen, dass sie möglichst lange selbstbestimmt zu Hause leben können“, erklärt Cordula Kuhlmann, Projektleitung von DeinHaus 4.0 Unterfranken und Leitung der Regionalentwicklung des Landkreises Bad Kissingen. 

Pflegeschüler

Mit dem Alterssimulationsanzug ist jeder Schritt eine Herausforderung. Deshalb wird Florian Lürken (links) sicherheitshalber von einem Mitschüler gestützt. Foto: Landkreis Bad Kissingen/Anke Barthel

Während die Theorie Teil des Rahmenlehrplans der generalistischen Pflegeausbildung ist, kooperiert das Helios St. Elisabeth Krankenhaus in der Praxis seit September 2020 mit dem Landratsamt. Dabei können Schülerinnen und Schüler nicht nur die körperlichen Beschwerden des Alters nachfühlen: „Die Kolleginnen vom Pflegestützpunkt zeigen anhand von konkreten Beispielen, wie sie die Bürgerinnen und Bürger unterstützen“, so Kuhlmann. „Die Schülerinnen und Schüler können die Kolleginnen bei Hausbesuchen begleiten, bekommen einen Einblick in die Wohnberatung und eine Führung durch unsere Beratungs- und Erlebniswelt „DeinHaus 4.0 Unterfranken“.“

Landkreis engagiert sich gerne im Pflegebereich

Ich freue mich sehr, dass wir diese Kooperation ins Leben gerufen haben“, sagt Landrat Thomas Bold. „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben in diesem Bereich sehr viel praktische Erfahrung, die sie gerne an die Schülerinnen und Schüler weitergeben. Darüber hinaus halte ich es für sehr wichtig, dass wir uns als Landkreis für den dringend im Pflegebereich gesuchten Nachwuchs engagieren.“

Für Florian Lürken und seine Mitschülerinnen und Mitschüler waren die praktischen Einblicke sehr hilfreich: „Durch unsere Arbeit im Krankenhaus kennen wir bei vielen Themen nur die eine Seite. Jetzt haben wir auch die andere kennengelernt, was uns einen viel umfassenderen Blick auf die Dinge ermöglicht“, so Lürken. „Faszinierend sind auch die technischen Assistenzsysteme und ihre Kombinationsmöglichkeiten, z.B. dass ein Sprachassistent mit einer Aufstehhilfe verknüpft werden kann.“ Und nicht zuletzt, sagt er, hätten die beiden Schnuppertage vielen „die Augen geöffnet: Wir waren erstaunt, wie unkompliziert es manchmal sein kann, Räume behindertengerechter zu gestalten. Nämlich, indem man einfach mehr Platz und damit mehr Lauf- oder Rollfläche schafft.“
 

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