Zugegeben, sein Name ist nicht besonders innovativ: AV1 heißt der kleine weiße Roboter, der auf einem Tisch mitten im Klassenzimmer steht. Die rollende Büste aus Plastik schaut mit leuchtenden Augen auf die Tafel, lauscht den Worten der Lehrerin. Plötzlich unterbricht er sie: „Können Sie den letzten Schritt bitte noch einmal wiederholen? Den habe ich nicht verstanden.“ Ellen Erhard schaut AV1 in die Augen und sagt lächelnd: „Natürlich!“
Peter Göbel, Leiter des Medienzentrums des Landkreises Bad Kissingen, erklärt den Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerin Ellen Erhard, wie der Avatar funktioniert. Fotos: N. Bachmann
Avatar kann von den Schulen kostenlos ausgeliehen werden
Ein Blick in die Zukunft? Nein, in der 9. Klasse der Mittelschule Hammelburg gehörte der Roboter fünf Wochen lang zum Schulalltag. Während dieser Zeit nahm der Avatar – fachlich korrekt: das Telepräsenzsystem – den Platz von Marlon ein, der wegen einer schweren Knieverletzung zu Hause bleiben musste. „Durch den Roboter konnte Marlon weiterhin am Unterricht teilnehmen, und zwar in Echtzeit“, so Erhard. Die Konrektorin gerät geradezu ins Schwärmen, wenn sie von AV1 spricht. „Wenn Marlon eine Frage hatte, konnte er sie sofort stellen, wie im Unterricht auch. Und die Lehrkraft konnte unmittelbar darauf eingehen. Damit war Marlon weiterhin ein vollwertiges Mitglied unserer Klassengemeinschaft.“
Den Avatar zur Verfügung gestellt hat das Medienzentrum des Landkreises Bad Kissingen. Dort „wohnt“ AV1 seit einem halben Jahr, und jede Schule, die ihn ausleihen möchte, kann das kostenfrei tun. „Als uns der Avatar vorgestellt wurde, war ich sofort begeistert und hab mir gedacht: Das ist eine spannende Technologie, die wir prima an unseren Schulen einsetzen können“, sagt Peter Göbel, Leiter des Medienzentrums.
Was sich im ersten Moment nach einem netten Gag anhört, hat ernste Hintergründe: „Manche Kinder und Jugendliche können aus verschiedensten Gründen nicht regelmäßig die Schule besuchen. Durch den Roboter verlieren sie nicht den Anschluss an die Schule und können auch weiterhin am sozialen Leben teilhaben“, erklärt Göbel.
Für Marlon, der in diesem Jahr seinen Schulabschluss absolviert, war die Unterstützung des Roboters sehr wichtig. „Marlon hätte sonst wichtigen Stoff verpasst. Und es ist doch etwas anderes, ob man einfach nur ein Arbeitsblatt bekommt und sich die Lösungswege selbst erarbeiten muss oder ob man quasi normal am Unterricht teilnehmen kann“, so Erhard.
Marlon mit "seinem" Avatar.
Den Unterricht aus einem anderen Blickwinkel verfolgen
Sich von einem Roboter Augen und Ohren zu leihen und ihm dafür im Gegenzug die eigene Stimme zu geben – das fand Marlon „richtig cool“. „Es war total interessant, die Klasse mal aus einem anderen Blickwinkel zu sehen“, sagt der 15-Jährige. „Der Unterricht hat dadurch mehr Spaß gemacht, und ich bin auch wirklich dran geblieben.“ Nicht weniger Spaß mit dem „neuen Mitschüler“ hatten die Klassenkameradinnen und -kameraden: Bei Gruppenarbeiten durfte AV1 nicht fehlen, und auch in der Pause war er mit dabei.
Der Roboter wird mit einer SIM-Karte betrieben und benötigt also kein WLAN. Der Datenkanal ist verschlüsselt – „sehr wichtig, denn dadurch ist die Übertragung datenschutzkonform und somit sicher“, sagt Göbel. Im Vorfeld müssen Lehrkräfte und Eltern in die Datenschutz-Bestimmungen einwilligen, „aber bei uns war das überhaupt kein Problem“, erzählt Erhard. Gesteuert wird der Avatar über eine App, dadurch ist er sehr leicht zu bedienen.
„Wenn man ihn richtig platziert, sieht er die komplette Tafel. Er kann sich nach rechts und links drehen und natürlich auch schwätzen“, sagt die Konrektorin schmunzelnd. Es wird sicherlich nicht der letzte Einsatz von AV1 an der Mittelschule Hammelburg gewesen sein: „Gerade in Abschlussklassen oder generell bei längerer Krankheit ist es wirklich sinnvoll, den Roboter einzusetzen. Sonst häufen sich die Fehlzeiten, die nur sehr schwer nachgeholt werden können.“
Mehr Informationen: www.medienzentrum-badkissingen.de