TeleView für Flüchtlinge – Pilotprojekt in Unterfranken

Ärzte mit Migrationshintergrund können insbesondere durch ihre Sprachkenntnisse, ihr medizinisches Fachwissen, ihre multikulturelle Erfahrung und ihre Netzwerke eine bedarfsorientierte Unterstützung per Videosprechstunde (Bild- und Tonübertragung), elektronische Patientenakte und Telemonitoring (Vitaldatenübertragung) für Unterkünfte, Arztpraxen und Krankenhäuser anbieten.

Landrat Thomas Bold hat nach drei Wochen Echtbetrieb in der Notunterkunft, zusammen mit den Verantwortlichen des Bad Kissinger Zentrums für Telemedizin (ZTM) und der RHÖN-KLINIKUM AG in Bad Neustadt, in einem Pressegespräch über die ersten Erfahrungswerte berichtet.

Pressekonferenz Tele-AID

Derzeit leben 66 Personen in der Unterkunft in der Röntgenstraße. Klagte bislang ein Bewohner über akute Schmerzen, musste er meist mit einem Dolmetscher einen Allgemeinarzt aufsuchen oder ins Krankenhaus gebracht werden um die Ursache zu ermitteln. Dies kostet jedes Mal Zeit und Geld. Zudem ist es oft auch für die Dolmetscher eine Herausforderung medizinische Fachbegriffe zu übersetzen.

Eine Entlastung bietet daher der Einsatz von Telemedizin in der Röntgenstraße. Durch die derzeit vier Ärzte (zwei in Bad Neustadt, zwei in Freiburg), die am Projekt „TeleView für Flüchtlinge“ beteiligt sind und die bei Bedarf per Videokonferenz in die Notunterkunft geschalten werden können, ist ein Dolmetscher nicht nötig und die Allgemeinmediziner vor Ort werden entlastet. Ein Mitarbeiter des Bayerischen Roten Kreuzes hört auf Wunsch des zugeschalteten Arztes den Patienten ab, misst den Blutdruck oder übernimmt ähnliche Aufgaben. Im Anschluss an die Untersuchung wird dem medizinischen Personal in der Notunterkunft der Befund mitgeteilt und welche Schritte gegebenenfalls zu veranlassen sind.
Rund 10 Patienten wurden durch den Einsatz dieser Technik bereits in der Röntgenstraße untersucht.

Die Beteiligten – sowohl Flüchtlinge als auch das medizinische Personal - schätzen diese Art der (sprach)barrierefreien Kommunikation als äußerst hilfreich ein. Viermal konnte ein zusätzlicher Praxis- oder Krankenhausaufenthalt auf diese Weise bereits umgangen werden. Zudem ist eine Notfallapotheke in der Notunterkunft hinterlegt, so dass auch eine Begleitung in eine Apotheke oftmals vorweggenommen werden kann.

 

Hintergrundinformation Pilotprojekt „TeleView für Flüchtlinge“

Bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen setzt TeleView an drei Anknüpfungsstellen an:

  • Erstaufnahmestellen und dezentrale Unterkünfte können auf Ärzte mit Migrationshintergrund unterschiedlicher Fachgebiete, Nationalitäten und Kulturen zugreifen. Ihre Dolmetscher können sie dann für ihre ursprünglich gedachten Aufgaben bei Behördengängen und Übersetzungen einsetzen. Hohe Kosten für kurzfristig hinzugezogene Dolmetscher ließen sich so reduzieren.
  • Der Ansatz hilft Arztpraxen und Krankenhäusern bei der Bewältigung von sprachlichen und kulturellen Problemen im Rahmen der Untersuchung. Damit steigern sich Effizienz und Qualität der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen. Außerdem kann das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten gewahrt werden, ohne dass Dolmetscher zwischen ihnen stehen.
  • Flüchtlingen erleichtert der Ansatz den Zugang zu ehrenamtlich aktiven Ärzten für eine psychosoziale bzw. psychosomatische Betreuung, um hier trotz fehlender Finanzierung spätere Verhaltensauffälligkeiten zu vermeiden.

Das Zentrum für Telemedizin (ZTM) Bad Kissingen installiert eine sichere und stabile Kommunikationsinfrastruktur und kümmert sich um Umsetzung und Betrieb. Die technische Installation besteht aus einem Videokonferenzsystem (Bildschirm, Kamera, Mikrofon, Videokonferenzsoftware) und einer elektronischen Patientenakte (Terminmanagement, Dokumentation). Das System ist für Erst- und Folgeuntersuchungen oder bei akutem Auftreten von Beschwerden geeignet. Die Neurologische Klinik Bad Neustadt und weitere Krankenhäuser der Region stellen den Ärztepool bereit.

Gefördert wird das Projekt vom 01.01.2016 bis 31.12.2016 durch das Bayerische Ministerium für Gesundheit und Pflege. Geplant ist der Einschluss von ca. 1.000 Flüchtlingen, um eine ausreichende Datenbasis für die Evaluation zu gewinnen.

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