Pflege, digitale Hilfen und Ethik

Kann das zusammen passen: Pflege, Digitalisierung und Ethik? Ja, meint Dr. phil. Elisabeth Jentschke, denn durch eine gegenseitige gute Ergänzung und individuelle Betrachtung des Einzelfalls kann die Gesamtsituation von Personen die Unterstützung bedürfen verbessert werden. Dr. Jentschke ist Leiterin der Abteilungen für Psychoonkologie und Gerontologie sowie Vorsitzende des klinischen Ethikkomitees Uniklinikum Würzburg. Sie bereicherte den zweitägigen Fachkongress in der Pflege von DeinHaus 4.0 Unterfranken mit ihrem Vortrag „Wie kann im Alter ein würdevolles Leben bei zunehmenden Herausforderungen gelingen?“ Beim zweitägigen Fachkongress „Akut und präventiv – Zuhause ver- und vorsorgen: Digitale und technische Lösungsansätze für eine nachhaltige Versorgungsqualität im ethischen Kontext“ diskutierten Fachleute aus Wissenschaft, Forschung und Pflegepraxis sowie Betroffene und Pflegende Angehörige darüber, wo digital Hilfen aus ethischer Sicht ihre Grenzen finden aber auch Chancen eröffnen können.

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Dr. Elisabeth Jentschke, Leiterin der Abteilungen für Psychoonkologie und Gerontologie, Vorsitzende des klinischen Ethikkomitees Uniklinikum Würzburg. Foto: Universitätsklinikum Würzburg

Dr. Jentschke befasst sich aktuell u.a. mit dem Würdeempfinden von älteren pflegebedürftigen Menschen. Einen würdevollen Umgang sieht sie insbesondere auch darin, persönliche Wünsche zu respektieren und einen hohen Grad an Selbstbestimmung zu ermöglichen. „Wir haben uns mit unserem Kongress DeinHaus 4.0 Unterfranken bewusst dem Thema Ethik gewidmet und verschiedene Expertinnen und Experten, Angehörigen- und Betroffenenvertretungen dazu zusammengebracht, so Cordula Kuhlmann, Leitung Regionalentwicklung Landkreis Bad Kissingen und Projektleiterin DeinHaus 4.0 Unterfranken. „Rund um die verschiedenen Wohnassistenzsysteme, die wir mit DeinHaus 4.0 Unterfranken zeigen, entstehen durch die digitalen Helfer große Chancen für mehr Selbstbestimmtheit, Sicherheit, Teilhabe, Unabhängig und Entlastung, es begegnen uns aber auch Fragen beispielsweise zur Datensicherheit, Überwachung, Verlustängste menschlicher Nähe.“

Ethik, Würde, Schuld- und Schamgefühle

Ethik, Würde, Schuld- und Schamgefühle – das sind Stichworte der täglichen Arbeit von Jentschke. Im Gespräch nennt sie Demenz als Beispiel für eine hohe Pflegebedürftigkeit, diese stelle neben der Depression eine der häufigsten Erkrankungen im hohen Alter dar. „Wir müssen raus aus dem Leistungsdenken“, beschreibt sie die derzeitige Situation, „Menschen dürfen sich nicht schuldig oder weniger wert fühlen, weil sie Hilfe brauchen oder sich einsam fühlen, sie dürfen sich nicht als Last empfinden, nur weil sie Unterstützung und menschliche Nähe suchen.“ Was aber, wenn über einen Knopfdruck, eine Wischbewegung oder über eine Sprachansage die Welt der Technik und Digitalisierung mit dem Wunsch eines Pflegebedürftigen nach Selbstbestimmheit und Unterstützung ganz einfach verbunden werden kann? „Ich bin absolut für technische Assistenzsysteme, aber nicht dafür, dass beispielsweise ein Hausarzt gar nicht mehr selbst an das Krankenbett kommt. Der persönliche Kontakt in jeder Lebenslage– auch insgesamt zu anderen Menschen - hilft am besten“, sagt Dr. Jentschke.

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Cordula Kuhlmann, Leitung Regionalentwicklung Landkreis Bad Kissingen und Projektleiterin DeinHaus 4.0 Unterfranken. Foto: Marie Markert

Als einen wichtigen Aspekt der Ethik sehen Jentschke und Kuhlmann die Antwort auf Fragen der Selbstbestimmung jedes einzelnen. Um diese Entscheidungsfreiheit zu ermöglichen, muss als Grundlage eine gute Aufklärung über Assistenzsysteme und Unterstützungsangebote stattfinden. Es sind Tabus zu brechen, sich mit dem Älterwerden auseinanderzusetzen und frühzeitig auch soziale Netzwerke zu spinnen. Den Alltag mit digitalen Helfern zu gestalten kann dabei wertvoll unterstützen und entlasten, sowohl das pflegende Umfeld als auch die pflegebedürftige Person selbst.

Als Ziel wünschen sich Kuhlmann und Jentschke eine Gesellschaft, in der pflegebedürftige Menschen ganz selbstverständlich integriert sind und teilhaben, in der digitale Helfer als ergänzende und entlastende Assistenz in der Pflege dienen und bestmöglich damit Selbstbestimmung und Freiräume für menschliche Nähe und einen würdevollen Umgang schaffen. Aber auch die pflegende Person selbst muss sichtbarer werden. Ein signifikanter Teil der Pflege wird zuhause von Angehörigen oder dem nahen Umfeld, neben dem eigenen Alltag, geleistet. Zu den pflegenden Angehörigen gehören dabei auch sogenannte Young Carer, Kinder und Jugendliche, die regelmäßig für erkrankte Familienmitglieder sorgen, sie finden beispielsweise in der Öffentlichkeit wenig Beachtung stellt Jentschke fest. Sogar das Gegenteil ist der Fall: „Sie sprechen nicht darüber, weil sie Angst vor Ausgrenzung haben. Pflege, Tod, Trauer sind sehr häufig mit Tabus belegt, man spricht nicht darüber“, das erlebt Jentschke nahezu täglich in der Praxis, „dabei gehören sie zum Leben dazu“, plädiert Jentschke für einen offeneren Umgang mit diesen Themen.

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Das Projektteam von DeinHaus 4.0. Unterfranken: Auf dem Foto (von links) Emma Ferkinghoff, Sebastian Tröster, Franziska Wehner, Johannes Seuffert, Cordula Kuhlmann, Axel Robert Müller (Moderator), Dr. Tom Zentek und Stephanie Tratt. Foto: Jane Vanhnadak.


Hintergrund
Dein Haus DeinHaus 4.0 Unterfranken ist ein vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gefördertes Kooperationsprojekt des Landkreises Bad Kissingen und dem ZTM (Zentrum für Telemedizin) Bad Kissingen. Im Beratungs- und Erlebniszentrum mit Musterwohnung DeinHaus 4.0 Unterfranken in Bad Kissingen, sind zahlreiche Beispiele digitaler und technischer Helfer zu sehen und laden zum Kennenlernen und Ausprobieren ein.

Weitere Angebote von DeinHaus 4.0 Unterfranken: Jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat lädt DeinHaus 4.0 Unterfranken von 11 Uhr – 18 Uhr in die Beratungs- und Erlebniswelt mit Musterwohnung, Münchner Straße 5 in 97688 Bad Kissingen, ein. Fachleute und Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit, sich über Wohnassistenzsysteme zu informieren und kennenzulernen, wie diese präventiv aber auch im akuten Pflegefall unterstützen können. Der Besuch ist kostenfrei. Eine Anmeldung ist nur bei Gruppenführungen nötig. Der Zugang ist barrierefrei. Alle Informationen und weitere Angebote von DeinHaus 4.0 Unterfranken gibt es unter www.deinhaus4punkt0.de.


 

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